Sonntag morgen, gegen 8.00Uhr. Seid wir nicht mehr melken, schlafen wir sonntags gerne etwas länger. Nach dem Aufstehen kurz ins Bad, anschließend ein Blick aufs Smartphone. Aha, eine Bekannte hat einen Bericht zur Schafshaltung in Deutschland kommentiert. Das muss ich mir ansehen. Besamung bei Schafen, nicht gerade unser Bereich. Der Umgang mit den Tieren ist sicherlich etwas speziell. Auf dem zweiten Blick sehe ich, dass das Video nicht aus Deutschland stammt, sondern aus England. Soso, also doch keine deutschen Schafhalter. Die Kommentare driften ziemlich ab und werden wahllos: Bauern sind profitgeil und quälen ganz bewusst die Tiere. Da ist der Streckefinger in den Kommentaren fast noch neutral.
Nach dem Frühstück (sonntags frühstücken bei uns ausnahmsweise die Menschen als erstes) geht`s in den Stall. Lothar versorgt die Rindergruppen in den anderen drei Ställen, ich füttere die Kälber. Zwanzig kleine Fleckviehtiere, alle zwischen vier und neun Wochen jung. Quälen wir unsere Tiere? Hm. Jedenfalls nicht bewusst. Nur einer unserer Ställe ist noch ein Stall mit Vollspalten, alle anderen Tiere leben in Ställen mit Stroh als Einstreu. Die Platzverhältnisse sind ziemlich großzügig, die Tiere machen Bocksprünge und können sich auch mal aus dem Weg gehen. Wir achten auf gutes Futter und auf das Wohlergehen unserer Fleckis. In den wärmeren Monaten können die älteren Tiere zusätzlich auf die Weide gehen.
Die aktuelle Kälbergruppe kam in zwei Partien zu uns. In der ersten Gruppe wirkte ein Kalb nicht richtig fit. Noch am gleichen Tag kam unser Tierarzt vorbei und untersuchte das Kalb. Meine Vermutung stimmte, das Tier hatte eine beginnende Lungenentzündung und musste sofort antibiotisch behandelt werden. Zusätzlich bekam es Schmerzmittel. Immer wieder behaupten einige Menschen, dass Nutztiere, zu denen unsere Rinder zweifelslos gehören, mit Antibiotika vollgepumpt werden. Uns liegt das fern, aber erkrankte Tiere verdienen eine vernünftige Behandlung und manchmal ist die Antibiotikagabe der richtige Weg. Sind wir deswegen böse oder verachten wir unsere Tiere?
Die Frage kann ich verneinen. Auch wenn unsere Tiere fast ausschließlich als Schlachttiere enden, heißt das nicht, dass wir sie nicht achten. Unsere Fleckis verbringen fast ihr komplettes Leben bei uns und verlassen den Hof erst wieder, wenn es zum Schlachthof bzw. Metzger geht. Es ist für uns nicht immer angenehm, lange versorgte Tiere auf diesem Weg abzugeben. Zu manchen Rindern fällt mir beim Blick auf die Ohrmarke spontan der spezielle Werdegang ein. Oft stehen wir in den warmen Monaten am Zaun und beobachten die Rinder beim Grasen oder Dösen.
Aber keiner sollte vergessen, dass wir Landwirte nicht caritativ arbeiten, sondern wirtschaften müssen. Wir und auch viele andere unserer Berufskollegen leben von ihrem Betrieb. Einen Bauernhof bewirtschaftet niemand aus dem Spaßfaktor heraus. Auf den Betrieben ist häufig schwere körperliche und auch seelische Arbeit an der Tagesordnung. Sicherlich geht jeder Landwirt mitsamt seiner Familie anders mit dem Alltag um und es läuft nicht immer alles richtig auf den Höfen. Aber auch für uns sollte der Spruch gelten "Perfekt gibt es nicht.", genauso wie er für jeden anderen als Maßstab genommen wird. Ich kenne keine perfekten Menschen, weder im Bezug auf das Verhältnis Mensch zu Mensch oder eben Mensch zu Tier.
Lothar und ich sind beide auf einem landwirtschaftlichen Betrieb großgeworden. Das eine oder andere machen wir heute anders als unsere Vorgänger. Die Haltungsbedingungen haben sich verändert und die Wertschätzung der Tiere ist bei vielen gestiegen, auch bei uns. Wir mögen unsere Rinder und alle anderen Tiere auf dem Hof. Während sie bei uns leben, sind wir als Halter für sie verantwortlich. Das nehmen wir ernst und versuchen alles gut zu machen.
Um auf die Geschichte von heute morgen zurück zu kommen: Ich verstehe durchaus, dass einige Dinge in der Tierhaltung auf Außenstehende befremdlich wirken müssen. Aber bevor Texte, Videos oder Bilder kommentiert und mit dem Daumen hoch oder runter bewertet werden, wäre es doch gut, die Entstehung und Bewandtnis zu kennen. Manchmal können so kurze Ausschnitte logisch erläutert werden und die Aufnahmen verlieren ihren Schrecken. Es gibt Tierhalter, die sich besser nicht mit Lebewesen beschäftigen sollten. Aber es gibt viel mehr Bauern und Landwirte, die Ihren Job als Berufung verstehen und Tiere mit dem nötigen Respekt großziehen und nutzen.
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